Johannes Brahms in Winterthur



Das Musikkollegium Winterthur krönte die zu Ende gehende Saison mit einem Brahms-Festival. Ganze Werkzyklen gelangten integral zur Aufführung. Zudem konnte man auf Brahms’ Spuren durch Winterthur wandern und seine Maler-Freunde Böcklin und Hodler im Kunst Museum Winterthur kennen lernen.

 
Verleger «Jakob Melchior
Biedermann» führte durch
Winterthur «auf Brahm's
Spuren».
Werner Pfister - Brahms in Winterthur, Schweiz – das ist eine einzigartige Erfolgsstory, die stolze 15 Jahre dauerte. Begonnen hatte sie 1856, als der Winterthurer Stadtorganist Theodor Kirchner in Düsseldorf zum ersten Mal Johannes Brahms begegnete.  Bei dieser Gelegenheit machte er den damals 23-jährigen Komponisten auf den Winterthurer Verleger Jakob Melchior Rieter-Biedermann aufmerksam. Bereits 1849 hatte dieser einen Musikverlag gegründet. Offensichtlich wurde Brahms neugierig, denn schon im August 1856 kam er, übrigens in Begleitung von Clara Schumann, nach Winterthur – auf seiner ersten Reise in die Schweiz. Vierzehn Schweiz-Reisen sollten es insgesamt werden.

«Frei aber einsam»
In Winterthur logierte Brahms gerne im Haus zum Schanzengarten, dem Familiensitz von Rieter-Biedermann. Dessen Gattin kümmerte sich um sein Wohl, und die Tochter Ida half ihm 1866 sogar, passende Bibelstellen für sein Deutsches Requiem zusammenzusuchen. Zu einem wesentlichen Teil entstand dieses grossartige Werk in Winterthur und in Zürich. Clara Schumann hatte bereits 1856 beim ersten Besuch in Hause Rieter-Biedermann gespürt, dass Tochter Ida die passende Frau für Brahms wäre. Das Schicksal jedoch entschied anders: «Frei aber einsam» hiess Brahms’ Lebensdevise.


 
Das Haus zum Schanzengarten des
Verlegers Biedermann wurde neu
renoviert.
Das vermochte Brahms’ Beziehungen zum Rieter-Biedermann-Musikverlag nicht zu trüben. Im Gegenteil, bereits 1858 war dort ein erstes Werk von ihm erschienen, und insgesamt liess er hier in den kommenden Jahren 22 Kompositionen erstveröffentlichen, darunter so bedeutende Werke wie das Deutsche Requiem oder das erste Klavierkonzert. Doch nicht nur wegen solcher verlegerischen Beziehung reiste Brahms gerne in die Schweiz. Immer wieder zog es ihn in die Sommerfrische, nach Gersau oder in die Berner Alpen, und drei aufeinanderfolgende Sommer – von 1886 bis 1888 – verbrachte er am Thunersee. Dort hat er auch komponiert, nicht nur sein letztes Orchesterwerk, das Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester, sondern auch seine Violinsonate A-dur op. 100 sowie einige Lieder.

Brahms in der Meininger Tradition
Im Gartenhaus der Biedermanns hat
Johannes Brahms gewohnt und komponiert.

Das Brahms-Festival des Musikkollegiums Winterthur wiederspiegelte diese vielfältigen Beziehungen von Brahms zu Winterthur und zur Schweiz. Zum Beispiel durch Aufführung der vier Sinfonien, der beiden Klavierkonzerte, der drei Violinsonaten oder des Deutschen Requiems sowie durch einen Stadtspaziergang «Auf Brahms’ Spuren in Winterthur» oder eine Führung im Kunst Museum Winterthur zu Brahms’ Malerfreunden Arnold Böcklin und Ferdinand Hodler. Doch der Radius des Winterthurer Brahms-Festivals reicht weit darüber hinaus – nämlich bis nach Meiningen im Süden Thüringens. Hier war Brahms oft zu Gast, dirigierte eigene Werke mit der Meininger Hofkapelle, sodass eine eigentliche Meininger Brahms-Tradition entstand. Brahms hielt den Leiter dieser Hofkapelle, Fritz Steinbach, für den besten Interpreten seiner Sinfonien und gab ihm immer wieder Hinweise zu Fragen der Interpretation.

 
Stadtpräsident Michael Künzle
enthüllte die Gedenktafel für
Johannes Brahms.
Zum Glück hat Steinbachs Schüler Walter Blume diese Interpretationshinweise von Brahms gesammelt und sie unter dem Titel «Brahms in der Meininger Tradition» veröffentlicht. Auf diese Tradition beruft sich nun auch Thomas Zehetmair. Brahms aus neuer, aus authentischer Sicht: «Dieses Meininger Konzept interessiert uns deshalb brennend, weil es Türen weit öffnet und nicht verschliesst», sagt Thomas Zehetmair. «Neues kommt ans Licht und alles ist plötzlich tatsächlich viel mehr als die Summe der Teile!»

Auf eine liebenswerte Rarität sei noch besonders hingewiesen. In einem Midi Musical war die erste Sinfonie von Brahms – die mit dem berühmten Alphornsolo aus den Berner Alpen – in einer von Brahms eigenhändig erstellten Fassung für Klavier zu vier Händen zu hören. Am Flügel: das renommierte Klavierduo Adrienne Soós und Ivo Haag. Offensichtlich schätzte Brahms seine Klavierfassung sehr: «Das Kattermäng [à quatre mains] ist eine Pracht!»


(Aus dem Programmheft mit freundlicher Genehmigung - das Festival fand vom 29. Mai bis zum 2. Juni 2019 in Winterthur statt. Photos: Mark Walder)

Brahms Bearbeitungen für Viola

 

 

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