Was nicht im Heimeran steht |
Das stillvergnügte Streichquartett von Ernst Heimeran (1902 bis 1955), einem deutschen Autor und Verleger, gilt bis heute als wichtiger Fundus für Kammermusikfreunde. Konrad Ewald knüpft mit seinem Buch, «Was nicht im Heimeran steht», bewusst an dieses Standardwerk an. Er bespricht nicht nur eine grosse Anzahl neuer Ausgaben aus den letzten 30 bis 40 Jahren sowie Ersteditionen von bislang nie gedruckten Trouvaillen, sondern erklärt auch die Gründe, die ihn zum Verfassen des Buches bewogen haben.
Konrad Ewald - Als einer meiner besten Freunde erfuhr, dass mein Buch über Streichquartette den Titel «Was nicht im "Heimeran“ steht» erhalten sollte, stellte er die rhetorische Frage: «Wer kennt denn Heimeran noch?» Mit Heimeran ist natürlich weniger die Person Ernst Heimerans gemeint, als vielmehr sein unverwüstliches Buch Das stillvergnügte Streichquartett, das von 1936 bis 1987 85'000 Mal erschienen ist. Nach seinem frühen Tod mit 53 Jahren wurde es jahrzehntelang von Bruno Aulich weiter betreut. 2006 erschien sogar noch eine CD mit dem gleichen Titel, auf der die Heimeran'schen Anfangskapitel von Bernd Stephan gesprochen werden; zusätzlich spielt das Kodaly-Quartett das Quartett op.59,1 von Beethoven.
Ich wollte bewusst an Heimeran anknüpfen, der (durch die Stimme des Bratschisten) gesagt hat, «Hausquartette seien nicht dazu da, das zu machen, was ohnehin überall zu hören ist». Ich hatte das Glück (dank zwei erfahrenen Geigern), in jungen Jahren als Bratscher schon Zugang zu Streichquartetten zu finden. Mit 27, als der eine Geiger starb, hatte ich das ganze klassische und romantische Repertoire von Haydn und Mozart bis Tschaikowsky und Dvorak bereits gespielt.
Ersteditionen unbekannter Stücke
Bis in die 80er Jahre hinein kannte man nur je ein einziges Quartett von den 18 von Beecke, von den 70 von Pleyel, von den 70 bis 90 von Krommer, von den 78 von Gyrowetz und von den vielleicht 180 von Cambini. Von den 36 von Spohr kannte man ganze drei, und von den 26 von Ries und den 36 von Onslow kein einziges. Es waren keine Noten greifbar.
Allmählich besserte sich die Situation, als in den 70er Jahren der Verlag Walter Wollenweber in München und Bernhard Päulers Amadeus Verlag in Winterthur begannen, unbekannte Werke der Klassik und Romantik zu edieren. 1974 konnte ich den Reprint von Wilhelm Altmanns «Handbuch für Streichquartettspieler» kaufen (Erstausgabe 1927). Da erst wurde mir klar, was wir alles noch nicht (oder nicht mehr) kannten. Die meisten der dort besprochenen Werke existierten für uns allerdings praktisch gar nicht: Es gab schlicht keine Notenausgaben.
Erst in den 90er Jahren kam der grosse Aufbruch: Auf CDs wurden die Quartette von Volkmann, von Franz und Ignaz Lachner, von Burgmüller und einige von Onslow eingespielt. 1991 begann das Label Hyperion mit der Reihe «The Romantic Piano Concerto» (bis 2020 80 Nummern!). Da wurde uns nun nicht zum tausendsten Mal Liszt, Brahms, Schumann, Rachmaninow, Grieg und Chopin vorgesetzt, sondern (meist zum ersten Mal!) Litolff, X. Scharwenka, MacDowell, Moscheles, Henselt, Brüll, Herz... Und offenbar wollten immer mehr Musiker (vermutlich auch Dilettanten) auch spielen, was sie da hören konnten.
Vergriffenes neu aufgelegt
Und 1996 begannen in London Theo Wyatt und seine Frau die verdienstvolle Arbeit, vergriffene Kammermusikwerke (vom Duo bis zum Dezett, mit und ohne Klavier) wieder zu edieren (Merton Music). Und so wurden innerhalb von wenigen Jahren nicht Dutzende, sondern Hunderte von Werken wieder zugänglich, die einen oft jahrhundertlangen Dornröschenschlaf hinter sich hatten. 2003 erschien das dreibändige Standardwerk «Geschichte des Streichquartetts» von Friedhelm Krummacher, dessen wichtigsten Satz ich nicht müde werde zu zitieren: «Wer sich allerdings weigert, andere als die geläufigen Werke zur Kenntnis zu nehmen, weiss auch nicht, was ihm entgeht».
Und trotz all den Bemühungen stelle ich fest, dass viel zu wenig bekannt ist. In der Schlussbemerkung zu meinem Buch schrieb ich: «Nicht nur Konzertbesucher, sondern auch Menschen, die selbst Kammermusik spielen, ja sogar Musiker wissen zu wenig von den Schätzen, die vorhanden sind, aber nicht genutzt werden». Ich erinnere mich an ein Konzert des Bartholdy Quintetts (im November 2012). Auf dem Programm: Mozart g-moll, KV 516 und Mendelssohn B-dur, op.87, zwei wohlbekannte Werke; dazwischen zwei Quintettsätze von Zemlinsky, die man kaum kennen kann. Die Dreingabe wurde angekündigt, man hat es aber (wie üblich) nicht verstanden. Es war das Adagio aus Bruckners Quintett, einer der schönsten und erhabensten Sätze der gesamten Kammermusikliteratur. Man klatschte und dann fragte man: «Was war das?». Es gibt also Konzertbesucher, die Bruckner nicht kennen!!
Reicher Fundus, der gespielt werden will
Ich habe meinem Buch den Untertitel gegeben: «Weitere Spiel Möglichkeiten aus dem reichen Streichquartett-Repertoire». Wie reich dieses Repertoire ist, wird einem erst bewusst, wenn man das «Verzeichnis des Streichquartetts. Streichquartettkompositionen von 1700 bis heute" von Hermann Walther (Schott 2017) ansieht, ein Buch mit fast 600 Seiten, auf denen Werke von über 11'000 Komponisten und Komponistinnen verzeichnet sind, und zwar nicht nur gedruckte, sondern auch ungedruckte, unvollendete, verschollene und zerstörte.
Wenn die «Hausquartette» (also die Laien) zu träge sind, Unbekanntes zu spielen, könnten die vielen hervorragenden jungen Streichquartett-Formationen, die immer häufiger auftauchen, sich dieser Werke annehmen, statt stets die Schlusssätze des Lerchenquartetts und von Beethovens op.59,3 immer noch schneller zu spielen. Es waren schliesslich auch Profis, die in den letzten 20 Jahren Streichquartette von Bazzini, Czerny, Fesca, Fuchs, Gliere, Hill, Juon, Franz und Ignaz Lachner, Molique, Onslow, Reinecke, Reissiger, Ries, A. Romberg, Ph. Scharwenka, Stenhammar, Veit u.a. eingespielt haben. Warum spielen sie die nicht im Konzertsaal? Sie könnten so auch die Laien inspirieren.
Konrad Ewald, Was nicht im «Heimeran» steht, Ewald 2020.
Das Buch kann hier bestellt werden.
Noten Neuheiten |
Herr über einen Violaschatz
Die in seinem epochalen Bratschenführer «Musik für Bratsche» beschriebene Literatur hat Konrad Ewald alle selber gespielt, beschrieben und archiviert. Das Allermeiste davon ist, oder war, in seinem Besitz und ist säuberlich geordnet und abgelegt.
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