Die Digitalisierung in die Musikwelt tragen

 
 

Die neue Musikapp ScorePad basiert auf dem offenen Dateiformat MusicXML zum Austausch von Musiknoten. Die App wird im Juni vorerst für die deutschsprachigen Länder lanciert.

 
Niklaus Rüegg – Hinter der aufsehenerregenden Neuentwicklung steht die Firma ScorePad AG aus Erlenbach in der Schweiz. ScorePad soll gemäss Marketingmanagerin Maike Nagel «die Lücke zwischen einem PDF-Reader und einem Notationssystem schliessen». ScorePad ist also kein Notationsprogramm, sondern eine praxisorientierte Musik-App, die für ambitionierte und professionelle Musiker, den Ensemblebereich sowie für Orchester gedacht ist. Der product launch betrifft vorerst nur das iPad, da IOS am stabilsten laufe, erklärt Maike Nagel. Versionen für das iPhone und das MacBook seien in Vorbereitung. Aber auch eine Version für Android wird kommen.
Mit ScorePad soll die Digitalisierung selbstverständlich in der Musikwelt verankert werden. Die komplette Umstellung von Papier auf Digital ist aber kein Thema. Die Entwickler liessen sich von der Maxime leiten, dass sich die Musizierenden besser auf das Musikmachen konzentrieren können sollten, indem sie weniger durch musikfremde Aktionen, wie umblättern, Bleistift suchen, radieren, ungünstige Lichtverhältnisse etc. abgelenkt werden. Musikpartituren auf Papier wird es auch weiterhin geben. Es ist ähnlich wie beim Phänomen E-Reader und dem Buch. Beide haben ihren Platz und werden weiterhin existieren.

Neuerungen, die es in sich haben

ScorePad zeichnet sich aus durch einen ganzheitlichen Ansatz. Absolut zentral ist die Verwendung des offenen Dateiformats musicXML anstelle von PDF. MusicXML vereinfacht den Austausch von Musiknoten und ermöglicht verschiedene kollaborative, dynamische Funktionen, die beim PDF nur in bescheidenem Umfang zur Verfügung stehen. Ein Alleinstellungsmerkmal sind die dynamischen Notizen. Es können zum Beispiel einzelne Stimmen angewählt und ohne Verzerrungen ein- und ausgezoomt werden, das heisst, beim Zoomen verzerren oder verschieben sich die eingetragenen Notizen nicht, sondern passen sich an.

Musikkollektive wie Ensembles, Bands oder Orchester bekommen die Möglichkeit, Bezeichnungen und Notierungen auf einfache Weise mit allen Mitmusikerinnen oder mit einzelnen Stimmen zu teilen. Jede/r kann aber auch persönliche Anmerkungen anbringen, ohne sie mit andern teilen zu müssen. Ein Beispiel: Der Dirigent hat die gesamte Partitur auf seinem Tablet und kann Angaben für das ganze Orchester bzw. für einzelne Stimmen notieren. Bei den Instrumentengruppen kommen dann nur die für sie relevanten Notizen an. Alles funktioniert auf Touchscreen-Basis. Vordefinierte Zeichen können mittels Apple Pencil oder auch nur mit blossen Fingern hereingezogen werden. Der Dirigent kann zum Beispiel auf einen bestimmten Takt springen. Bei den Musikerinnen erscheint dann eine Meldung wie «Achtung Dirigent springt auf T23».
Ganz neu ist auch die automatische, individuell oder kollektiv programmierbare Umblätterfunktion, die das umständliche Seitenwenden überflüssig macht. Die Hände können wieder ausschliesslich für das Bedienen des Instruments eingesetzt werden.

Notenzugriff und Digitalisierung
Bahnbrechendes ist ScorePad mit seiner neuen digitalen Notenbibliothek nach dem Vorbild von Spotify oder Netflix gelungen. In der monatlichen Abogebühr ist ein unbegrenzter Zugang zu dieser Notenbibliothek inbegriffen. Durch vertragliche Vereinbarungen mit Verlagen ist auch die Urheberfrage gelöst. Der Nutzer kann beliebige musikalische Werke aus der bestehenden Bibliothek herunterladen, sie mit wenigen Klicks transponieren, auch eigene XMLs importieren oder PDFs von ScorePad digitalisieren lassen – und das in einer nie dagewesenen, hohen Auflösung.
Bei der Digitalisierung der Notenschrift – seit Jahren eine Achillesferse der Notationsprogramme – ist ScorePad dank eigener Entwicklungen einen entscheidenden Schritt voraus: die Digitalisierung (PDF zu musicXML) von Partituren ist mit ScorePad nun zuverlässig und mit einer verschwindend kleinen Fehlerquote möglich. Man muss die eingescannten Noten also nicht mehr neu abschreiben, weil dies am Ende schneller geht, als die vielen Fehler in den Scans zu korrigieren. Der Ablauf sieht so aus: Notenscans werden an ScorePad geschickt, kommen digitalisiert zurück und können weiter genutzt werden.
Hinter dieser Neuerung steht eine Forschungszusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Zusammen mit der ZHAW wurde das System OMR (Optical Music Recognition) entscheidend weiterentwickelt und mit «Deep Learning» verquickt, einem System, das auf künstlicher Intelligenz beruht. Mit jedem Input, den es kriegt, lernt es selbstständig weiter und verbessert sich so: «Das OMR steht», so CTO Florian Seibold, «kurz vor der Perfektionierung. Die logische Verifizierung dessen, was der Algorithmus ausspuckt, hat noch Verbesserungspotential,  ist aber reine Programmierer-Fleissarbeit.»
In der aktuellen Forschungsphase wird die Möglichkeit entwickelt, Noten zu fotografieren und direkt in XML umzuwandeln.

Langer Wunschzettel
ScorePad lässt sich ständig ergänzen und weiterentwickeln, doch nicht alles was möglich ist, wird schon von Anfang an integriert sein. Hier spielt die Frage der Ressourcen eine entscheidende Rolle. Intern gibt es eine Prioritätenliste für kontinuierliche  Weiterentwicklungen. Editierfunktionen könnten zum Beispiel eingebaut werden, so dass man nicht bei jeder zu korrigierenden Note das Notationsprogramm öffnen muss. Das Integrieren von Abspielfunktionen – sehr beliebt als Lernfiles oder Play Alongs – sei mit musicXML technisch absolut kein Problem, betont Maike Nagel, koste aber Zeit und Geld. Sogar eine Tempoanpassungsfunktion sei denkbar. Damit kann sich das Begleitinstrument tempomässig und dynamisch an das Melodieinstrument anpassen.
Und die Kosten? Für ambitionierte Musiker gibt’s das Basisprogramm zu CHF 10 pro Monat mit Zugang zur Bibliothek, allen Funktionen wie dynamische Notizen erstellen und teilen, Transponieren, Instrumente/Stimmen anwählen. Den Digitalisierungsservice und die kollaborativen Funktionen gibt’s bei der Pro-Version für 50 CHF pro Monat, monatlich kündbar. Teuer? Maike Nagel: «Wenn man die Kosten für Noten und den Digitalisierungsaufwand rechnet, die wegfallen, ist das ScorePad Abo günstiger».

 

Folgende Ausgaben von Music4Viola sind bereits über ScorePad für Euch verfügbar:

  • Virginia Romanze - Alexander Presuhn (1870-1950)
  • Das Alter - Alexander Presuhn (1870-1950)
  • Partita - Alexander Presuhn (1870-1950)

Einladung
Sie sind herzliche eingeladen, am ScorePad Product Launch teilzunehmen: 28. Juni | 19:30 Uhr | Musikschule Konservatorium Zürich | Florhofgasse 6, 8001 Zürich, Schweiz. Anmeldung über oder die Webseite: https://www.scorepad.ch/launch-event

Dieser Blogartikel wurde verfasst von Niklaus Rüegg, diplomierter Opernsänger (Musikakademie Basel), Absolvent des Internationalen Opernstudios Zürich, zweimaliger Gewinner des Migros-Begabten-Stipendiums, zahlreiche Engagements in Oper, Operette, Musical und Konzert im In- und Ausland.
Seit zehn Jahren ist Rüegg auch als Musikjournalist tätig und betreut unter anderem die Verbandsseiten des VMS (Verband Musikschulen Schweiz) in der Schweizer Musikzeitung. Als junger Mensch hatte Niklaus Rüegg Geige und Bratsche gespielt.


Photos: ScorePad
 

Noten für Bratsche als Download

 

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