Die passende Bratsche

 

Teil 2: Wölbung, Holz und Ausarbeitung - die Qualitätskriterien einer guten Bratsche 



Barbara Gschaider - Wollten Sie auch schon immer wissen, woran man eine hochwertige Bratsche erkennt? Wenn Sie zu diesem Thema schon recherchiert haben, sind Sie vermutlich schnell auf den einen oder anderen wieder geborenen Stradivari gestoßen: Er oder sie hat eigenhändig den letzten Baum gefällt, aus dem sich noch hochwertige Instrumente bauen lassen. Oder vielleicht ein geheimes Lackrezept wieder entdeckt? Geheimnisse haben immer noch Hochkonjunktur im Geigenbau. Doch wie so oft sieht die Wirklichkeit ganz anderes aus, und vielleicht werden Sie nach der Lektüre dieses Artikels denken: Ein Geheimnis ist weit weniger mysteriös, als die Klangfindung in der Realität!
 

Drei Säulen für guten Klang

Während einfache Bratschen schnell an einzelnen Merkmalen zu erkennen sind, entsteht ein hochwertiges Instrument durch das Zusammenspiel von Holz, Wölbungsform sowie der Dicke von Decke und Boden (= Gewicht). Wohlgemerkt, dem Zusammenspiel – ein bestimmtes Stück Holz oder eine bestimmte Wölbungsform bringen allein nämlich überhaupt nichts. Ein «gutes» Instrument liegt immer dann vor, wenn Holz, Wölbung und Gewicht in ihrer Gesamtheit ausreichend steif genug sind, um dem Saitendruck stand zu halten, dabei aber noch frei schwingen, damit der Klang sich entfalten kann. Dieses Ziel kann ein Geigenbauer auf verschiedene Weise erreichen. Lernen Sie zunächst die einzelnen Elemente kennen: Nehmen Sie dazu Ihre Bratsche zur Hand – zur Not tut es auch eine Geige – und betrachten Sie Ihr Instrument mit den Augen eines Geigenbauers:
 

Wölbung

Beginnen wir mit der Struktur der Wölbung, die auch für ein ungeübtes Auge gut zu erkennen ist: Vom Rand aus gesehen fällt die Wölbung zunächst wie eine Hutkrempe in ein kleines Tal, genannt Hohlkehle. Nach ca. ein bis drei cm steigt die Wölbung wieder an bis zur Mitte. Betrachten Sie den Anstieg der Wölbung: Steigt sie von der Hohlkehle aus kugelförmig an, wirkt wie aufgeblasen und mündet in einem Plateau? Oder gleicht die Wölbung eher einem Dach mit abgerundeter Spitze, vielleicht sogar einem durch-hängenden Dach? Vergleichen Sie auch die Wölbungsform von Ober-und Unterbügeln mit der Form der Mittelbügel: Ist der Anstieg überall gleich, oder sehen Sie in der Mitte eher die Kugel und oben und unten das Dach? Um ein Gefühl für die Tiefe der Hohlkehle zu bekommen, schütten Sie in Gedanken (wirklich nur in Gedanken!) etwas Wasser auf Ihre Bratschendecke. Wie breit und tief wäre der Wassergraben?

Noch einmal der Hinweis: Ob die Wölbungsform
«gut» oder «schlecht» ist, lässt sich an dieser Stelle noch nicht sagen, denn geht geht ja um das Zusammenspiel.
Allerdings lässt sich an Hand der Ausführung der Arbeit einfache Qualität erkennen: Leider tut sich das ungeübte Auge sehr schwer, diese Feinheiten zu erkennen. Versuchen Sie es trotzdem: Fließt die Wölbung Ihrer Bratsche gleichmäßig, oder können Sie irgendwo flache Stellen ausmachen? Und geht die Hohlkehle harmonisch in die Wölbung über? Eine Wölbung, die nicht fließt, schwingt meist auch nicht gut. Da diese Feinheiten außerdem großes handwerkliches Können und viel ästhetisches Empfinden erfordern, ziehen wir als Geigenbauer folgende Schlussfolgerung: Wurden diese Arbeiten grob ausgeführt, wurde das ganze Instrument vermutlich mit mangelnder Sorgfalt gebaut. Folglich handelt es sich nur um ein einfaches Instrument.
Umgekehrt ist meisterliche Ausführung dieser Arbeiten allerdings nur ein erster Hinweis auf gute Klangqualität, - es geht ja um das Zusammenspiel. Der nächste Blick gilt dem Holz:

 

Holz

Von besonderem Interesse ist das Deckenholz, genauer: der Abstand der Jahresringe untereinander. Meist liegen sie etwa einen mm auseinander. Oder ist der Abstand bei Ihrer Bratsche vielleicht weiter? Oder enger? Sind die Abstände überall gleich oder werden sie zur Mitte hin enger und zum Rand hin weiter?
Schauen Sie sich die Bratsche nun vom Endknopf her an: Stehen die Jahresringe von hier betrachtet senkrecht, oder leicht schräg?
Einige wichtige Kriterien sind beim fertigen Instrument leider nicht mehr zu sehen, weder für den Laien noch für den Profi:

  •  Der Faserverlauf des Holzes: Wenn Sie einen Holzkeil mit der Axt spalten, können Sie den Faserverlauf genau beobachten: Mal entstehen fast flache Spaltlächen, mal ist das Holz drehwüchsig. Je ebenmäßiger der Faserverlauf, umso stabiler ist das Holz.

  • Das spezifische Gewicht des Holzes

Bei Holzqualität lässt sich wie bei der Wölbung nur die schlechte Qualität zweifelsfrei identifizieren: liegen die Jahresringe in der Mitte (am Rand gelten andere Regeln) weiter als zwei Millimeter auseinander, ist das Holz ziemlich sicher zu schwach, vermutlich handelt es sich um ein Instrument von einfacher Qualität (allerdings habe ich schon Ausnahmen erlebt). Gut gewachsenes Holz muss dagegen im Kontext mit der Wölbung und vor allem der Dicke von Decke und Boden betrachtet werden:
 

  Die Dicke von Decke und Boden

Die Dicke von Decke und Boden lässt sich beim fertigen Instrument nur mit einem speziellen Messgerät feststellen. Für alle, die ein solches nicht besitzen liefert das Gesamtgewicht einen Hinweis auf die Dicke. Musiker verfügen oft über ein sehr gutes Gespür für das Gesamtgewicht : Schwere Instrumente sind oft, aber nicht immer (!) auch dicker. Und: schwere Instrumente sind meistens nicht gut verarbeitet.
 

Erstes Fazit

Wie Sie vielleicht gemerkt haben, ist einfache Qualität für den Geigenbauer ziemlich schnell zu erkennen. Gut 95% aller Speicherfunde kann ich anhand dieser schnellen Betrachtung als einfache Qualität einordnen – ohne Grund landet ein Instrument eben auch nicht auf dem Speicher. Hat die Bratsche diese erste Prüfung bestanden, gilt es herauszufinden, ob auch das alles entscheidende Zusammenspiel funktioniert:
 

Auswirkung auf den Klang

Für die Klangqualität muss ich wissen, wie weit die Elemente Holz und Wölbung und Dicke für Stabilität sorgen oder die Bratsche frei schwingen lassen.
Eine Bratsche schwingt um so mehr

  • je weiter und tiefer die Hohlkehle

  • je geringer die Deckenstärke

  • je schräger die Jahresringe

  • je größer der Abstand der Jahresringe

  • je durch-hängender der Wölbungsanstieg

Folglich geben Stabilität:

  • eine enge, flache Hohlkehle

  • ein ballonartiger Wölbungsanstieg

  • eng und senkrecht stehende Jahresringe

  • dicke Deckenstärke

Die Dicke von Decke und Boden trägt noch auf andere Art zur Klangbildung bei:

  • Höheres Gewicht führt zu mehr Dämpfung.

Dieses Phänomen kennen Sie vom Dämpfer. Wenn Sie einen Dämpfer auf Ihren Bratschensteg aufstecken tun Sie nichts anderes, als Gewicht hinzufügen.
Alles was die Schwingungen fördert sorgt klanglich tendenziell für Weichheit und leichte Ansprache. Elemente, die für Stabilität sorgen, bereichern den Klang mit Kraft und Fülle. Allerdings heben sich viele Effekte gegenseitig auf. Dazu ein Beispiel: Wenn ich eine Bratschendecke dünner mache, kann sie freier schwingen, der Klang müsste also weicher werden. Andererseits nimmt aber auch das Gewicht, also die Dämpfung ab. Und weniger Dämpfung macht den Klang lauter, mitunter auch scharf. Welcher Effekt sich klanglich durchsetzt, hängt von vielen Faktoren ab, hauptsächlich von der Wölbungsform. Entscheidend ist außerdem, an welcher Stelle ich Holz entferne: Zwischen den f-Löchern, in den Ecken und entlang der Hohlkehle ist der Effekt auf die Stabilität größer, in den Ober-und Unterbügeln spielt dagegen das Gewicht die größere Rolle. Klingt kompliziert? Ist es auch. Da die Effekte sehr fein und fließend sind, ist die klangliche Einschätzung von Instrumenten nach dem Aussehen vor allem Erfahrungssache. Schlechte Qualität lässt sich wieder leicht erkennen: Instrumente, die nicht ausgewogen sind, also vor allem steif oder flexibel. Die ausbalancierte Bratsche hat dagegen zumindest ein gutes Klangpotential - was aber noch lange nicht heißt, das sie jedem Spieler gefallen wird!
Unabhängig von der Geschmacksfrage wird aber auch kein noch so erfahrener Geigenbauer bei fremden Instrumenten allein vom Aussehen her den Klang bestimmen können. Zu viele Details lassen sich im Nachhinein nicht mehr beurteilen.
Anderes sieht es bei den Instrumenten aus, die wir selber bauen:

Klangvergleich zwischen einem Modell von Maggini und A.Guarneri

Dazu wieder meine beiden Lieblingsbratschen von Maggini und Guarneri als Beispiel:
Wenn Sie die Wölbungskurven der Andrea Guarneri betrachten werden Sie feststellen: Diese Wölbung ist in sich bereits sehr ausgeglichen. Die Hohlkele ist durch ihre Breite und Tiefe recht flexibel. Die Wölbung zeigt in den Ober- und Unterbügeln ein Dach, in der Mitte einen Ballon. Bei diesem Modell kann ein Geigenbauer nicht viel falsch machen. Mit steifem Holz klingt die Bratsche kräftiger, flexibleres Holz macht den Klang weicher. Die Decke arbeite ich möglichst gleichmäßig aus, bis sie sich
«richtig» anfühlt. Das teste ich durch drücken und biegen und klopfen an bestimmten Stellen. So lange ich Extreme vermeide erhalte ich mit der A.Guarneri als Vorbild immer eine ausgewogene Bratsche, deren Klang bei vielen Bratschisten gut ankommt.
Ganz anders sieht es mit der Maggini aus. Die Wölbung ist extrem voll, die Hohlkele sehr eng. Folglich ist die ganze Wölbung extrem steif. Stehen die Jahresringe beim Holz nun bis zum Rand eng beieinander und senkrecht, wird sich die Bratsche vor lauter Steife kaum noch bewegen können. Eine dünnere Ausarbeitung zum Ausgleich würde klanglich nicht viel positives bewirken, da sich bei derart viel Steife in der Wölbung vor allem die geringere Dämpfung bemerkbar machen würde: Die Bratsche wäre also sehr laut, wahrscheinlich sogar schreiend im Ton. Gute Klangergebnisse erziele ich nur, wenn ich die Maggini mit flexiblerem Holz baue. Steifes Holz mit senkrecht stehenden Jahresringen, die maximal einen Millimeter auseinander stehen gilt unter Geigenbauern zwar generell als
«gutes» Holz und ist beim Holzhändler sehr teuer. Für einen Maggini Nachbau wäre es aber zu viel des Guten. Mit vermeintlich «schlechterem» Holz klingt die Bratsche wärmer und weicher. Ganz wichtig außerdem: Die Hohlkehle tief und dünn genug ausarbeiten, um die Flexibilität zu erhöhen. Vielleicht fragen Sie sich an dieser Stelle: Warum tut sich ein Geigenbauer das an, und baut nicht nur Andrea Guarneri Modelle nach? Für mich lautet die Antwort: Weil ich mit dem ungewöhnlichen Maggini Modell bei gefühlvoller Bearbeitung auch einen ungewöhnliche guten Klang erzielen kann! Das dunkle Timbre wird als angenehm weich empfunden, trotzdem ist der Klang kraftvoll genug, um im Saal gut zu tragen.
 

Schlussbemerkung

Obwohl Holz, Wölbung und die Stärke von Decke und Boden den Bratschenklang formen, dürfen auch diese Elemente nie isoliert betrachtet werden. Eine große Bratsche wird bei gleicher Wölbung, Dicke und Holz einen anderen Klangcharakter haben als ein kleines Instrument. Eine wichtige Zutat im Klang-Cocktail der Bratsche ist außerdem die klangliche Einstellung, also Steg, Stimmstock und Saiten, mit denen ich mich im nächsten Blogartikel befassen werde.
 

Dieser Blogartikel wurde verfasst von Barbara Gschaider. Sie ist Geigenbauerin und betreibt gemeinsam mit ihrem Mann eine Werkstatt in Bonn. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Bratsche. Nebenberuflich betätigt sie sich als Autorin zum Thema Geigenbau.


www.atelier-gschaider.de
Photos: Barbara Gschaider

 

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